Tena –
Heute geht es früh los. Wir hatten mit den „River People“ schon vor unseren Abflug ein Adventure Package individuell zusammenstellen können: Einen Tag Rafting, zwei Tage Trekking und Canyoning durch den Dschungel mit Übernachtung im Zelt. Alles sehr unkompliziert mit Tim, den Leiter, per E-Mail geklärt – zwar ist das so weit vorrausbuchen nicht unbedingt nötig bei low Season, aber es hilft den Veranstaltern beim Planen enorm. Um 8 Uhr früh stehen wir vor dem Eingang des Hostels. Es nieselt. Naja, nass werden wir sowieso beim Rafting.
Ein Pritschentaxi biegt um die Ecke und hält an – unsere Mitfahrgelegenheit.
„You guys ready to be on camera?“ frägt unser Fahrer. „You’ll be rafting with National Geographic today“. Ach komm schon, du verschaukelst uns doch jetzt…
Tatsache jedoch: Wir haben zwei Journalisten dabei: Nick und Adrian schreiben unabhängig für jeweils einen Artikel des National Geographic und einen Reiseführer für Ecuador. Meine Vorstellung von Leuten, welche in dieser Branche arbeiten scheinen beide zu entsprechen: Beide recht fit, relaxed, nen lustigen Spruch auf den Lippen und immer für jeglichen Unsinn zu begeistern.
Tim weist uns alle ein. Da es gestern geregnet hat, ist aus dem Stufe III-IV Rafting auf dem Fluss Jondachi ein IV+ geworden . Ich bin da mal drauf gespannt…
Zwar haben wir Wanderschuhe und unsere Füßlinge fürs Tauchen dabei, aber beides ist heute nicht geeignet: Da es geregnet hat, wird der Weg zum Fluss extrem schlammig sein, doch auch an vielen Stellen steinig. Die Kombination aus Neoprenschuhen und fester Sohle ist hier ein Muss. Zum Glück haben sie alles auch in meiner Grösse da .
Insgesamt sind wir zu 9t: Ivan filmt auch mit einer GoPro, Adrian und Nick, Gabriel unser Guide und Ena und ich. Alvaro und Alex werden uns in Kajaks begleiten.
Nachdem alles verladen wird, machen wir uns auch auf den Weg. Nach einer ca 30-minütigen Fahrt machen wir Halt an einer schlammigen Strasse im Dschungel. Einige Anwohner warten schon auf uns und helfen beim Equipment-tragen. Ein zierliches Mädel schnappt sich ein Kajak und läuft barfuss schonmal Richtung Fluss. Nachdem wir unsere Schwimmwesten und Helme angezogen haben, schnappen wir uns jeweils ein Paddel und machen uns auch auf den Weg. Das Paddel ist ein klasse Gehstock, denn wir bleiben mehrmals im kniehochen Matsch stecken. Wo sind denn die Locals mit dem Equipment hin? Gefühlt laufen wir im Schneckentempo. Kaum habe ich diesen Gedankengang, rennt einer der Anwohner in Parcour-Manier an uns vorbei. WTF. Matsch, Steine – wieso ist das so anstrengend für uns und für ihn nicht? Fast angekommen, sehen wir das barfüssige Mädel von vorhin schon auf nem Stein sitzen, neben ihr ein anderes mit pinken Plastiksandalen. Echt jetzt? Ich bin fast zig Mal mit den gescheiten Schuhen auf die Schnauze gefallen – wie zum Henker machen die das?! Das Boot wartet unter einer Hängebrücke auf uns.
Wir machen einen kleinen Umweg Flussaufwärts zu einem Canyon in dem viele Leute in den natürlichen Pools baden gehen. Wahnsinnslandschaft! Ich bin ganz hibbelich aufs Rafting. Nachdem wir wieder zurückgelaufen sind und uns wieder an der Brücke befinden, bekommen wir eine Einweisung von Gabriel. Dann geht es schon los: Gleich nach den ersten Stromschnellen wird klar: Das ist nicht ganz so locker-entspannt wie das Rafting damals in Boquete.
Wir müssen uns schon ordentlich ins Zeug legen. An der ersten Stromschnelle mit größerer „Washingmachine“ (Strudel) bleiben wir schon hängen. Einige Male drehen wir uns um die eigene Achse bis wir es nach einer guten Minute schaffen wieder aus dem Strudel hinauszukommen. Ich schaue mich um: 2 Leute vor mir, Verena neben mir, hinter mir Adrian und ganz hinten Gabriel. Wo steckt denn Nick?
Während wir im Strudel hingen ist er rausgefallen und ein Stückchen abgetrieben. Nun steht er am Flussrand und streckt den Daumen in unsere Fahrtrichtung: „We don’t take any Hitchhikers!“ . Nick steigt hinzu und weiter gehts! Wir haben unzählige rasante Stromschnellen mit vielen Strudeln auf den Weg – aber wir kriegen den Dreh langsam raus, es fällt niemand mehr vom Boot. Weltklasserafting, wirklich. Wir haben extrem viel Spass. Irgendwann machen wir eine Pause. Wow, das geht mal in die Arme . Die Pause ist echt nötig.
Einige richtig große Ameisen tummeln sich auf den Steinen. Sind das etwa Bullet-Ants? Ena meint nein – aber ein Biss von denen wird sicher auch total schmerzhaft sein. Währenddessen haben Gabriel und Ivan ein Festmahl zubereitet: Selbstgemachte Tortillas zum selber befüllen. Wir langen alle beherzt zu – jetzt merke ich erst, was für nen großen Hunger ich habe. Als Nachtisch gibt es selbstgemachten Schokokuchen und Früchte. Während ich mit meiner ersten Tortilla noch beschäftigt war, hatte sich Nick schon etwas von der braunen Creme auf ein Stück Kuchen gemacht. Ich dachte das wäre Mole aus Bohnen… Allerdings hätte er dann wohl jetzt einen anderen Gesichtsausdruck . Ich probiere die Creme auch mit dem Kuchen: Geschmacksexplosion! Eine richtig leckere, zum großen Anteil an Kakao bestehende Creme. Besonders Lecker schmeckt diese auf Ananas. Wieso ist man irgendwann mal satt? Ich kann nicht genug von bekommen…
Erst nachdem wir zufrieden und mit vollen Bauch uns hinsetzen, merke ich, dass wir alle von irgendwelchen Viechern gestochen worden sind. Das scheinen keine Mücken gewesen zu sein, da alle Einstiche sich auf die Unterschenken beschränken. Sandfliegen? Blut sprudelt nur so aus den Einstichstellen herraus. Fast schon wie die Wasserflasche gestern – hat mein Körper hier Überdruck? Wir sind nichtmal über 1000m über dem Meerespiegel .
Gestärkt, geht es bald weiter.
Adrian: „Haben die Stromschnellen eigentlich Namen?“Gabriel: „Nein. Die sind nummeriert.“
Adrian: „Wir sollten die Stromschnelle hinten nach Nick benennen. ‚Naughty Nick‘ oder so.“.
Gabriel erklärt uns vor jeder der schwierigeren Stellen, wie wir uns zu verhalten haben. Kurzerhand wird die anspruchsvollste mit 4 Washingmachines „Laundry“ von uns getauft.
Wir legen immer wieder kleinere Pausen ein, um Fotos zu machen. Wir sehen zahlreiche Wasserfälle auf unserer Fahrt. Ich finde es recht erstaunlich, dass sowohl Nick als auch Adrian auf Papier arbeiten. Beide führen recht kleine Notizblöcke mit sich, in welche sie sich alles recht zeitnah notieren – so geht wohl keine Information verloren. Wir passieren einige sehr morsch aussehende Hängebrücken – diese führen über den Fluss weiter in den Dschungel zu einigen Dörfern. Es gibt genug Menschen, welche hier im Wald leben und die Stadt nur für Besorgungen besuchen. An einer dieser Brücken machen wir einen kurzen Stop. Am Flußrand entlang können wir nun Richtung Wald laufen und auf die Brücke steigen. Gabriel führt Nick und Adrian durch das Dickicht… ich zögere noch ein wenig, entscheide mich dann ihnen zu folgen. Als ich vom Boot ins Wasser springe, reisst mich die Strömung schon weg. Selbst am Flussrand ist es schwierig, dagegen anzuschwimmen. Irgendwie ist meine Kraft komplett weg. Nee – ich kann mich nichtmal auf das Ufer stemmen. Ich lasse mich wieder zum Boot treiben und lasse mich wie ein nasser Sack hineinfallen.
Nach einer Weile sieht man Gabriel, Adrian und Nick wie sie die Brücke betreten – die sind wohl auch langsam gelaufen. Gut, dass nicht nur bei mir die Kräfte alle weg sind. Wir haben etwas Zeit uns auszuruhen, während sich die 3 oben auf der Brücke unterhalten. Adrian entscheidet sich einige Fotos von sich zu machen, wie mit beiden Händen vom Lianengeländer der Brücke hängt. Einige Fotos später, stehen Gabriel und Nick immernoch auf der Brücke, während Adrian sich nicht wieder hochzieht. Bei ihm ist wohl auch die Kraft weg? Wieder aus die Brücke kommen ist nicht. Bleibt wohl nichts übrig als die ca. 10m in den Fluss zu springen. Gabriel und Nick schauen Adrian nach, als er loslässt und ins Wasser fällt – er muss sich schon ordentlich ins Zeug legen um nicht komplett abgetrieben zu werden. Die Strömung in der Mitte des Flusses ist stark. Tja, nun wird Nick von uns auch angefeuert zu springen – „Do a flip!“ . Verrückte National Geographic-Leute. Auch er schafft es nach etwas Mut sammeln doch auch zu springen. Nach etwas Luft schnappen sammeln wir uns und paddeln weiter.
– „Alright, the next rapid is a 20m waterfall“– „…with a trampoline at the end?“
– „Nonono, hungry crocodiles“
– „I hope they are hipster vegan crocodiles…“
Die nächste Stromschnelle hat tatsächlich einen Namen: „Wafflemaker“. Auf beiden Uferseiten mehrere Washingmachines – wenn man also den Strudeln zu nahe kommt, wird man sich die Flossen wie bei nem Waffeleisen verbrennen – wir würden alle vom Boot fallen. Wir müssen uns hart ins Zeug legen und die letzten Kräfte mobilisieren um mittig durchzukommen. Total erschöpft aber glücklich treiben wir nun einige weitere Kilometer weiter bis zu einer großen Metallbrücke und der wir langsam durchfahren. „Habt ihr eure Pässe dabei? Ist nicht mehr weit bis nach Kolumbien“ . Einige hundert Meter weiter erreichen wir ein Ufer an dem wir aussteigen und das Schlauchboot an Land ziehen.
Uff, ich spüre Muskeln am Körper von denen ich nochnicht wusste, dass ich die hatte. Gabriel läd uns ein noch einen Blick auf die Jungle Lodge zu werfen, welche hier im Aufbau ist. Es wird noch eine Weile dauern, bis der Jeep da ist um das Boot zu verladen. Ein „perros bravos“-Schild hängt etwas schief am Seitenrand des Schotterwegs, den wir nehmen. Einige Meter weiter kommen jedoch nur eine Dalmatinerdame und nen Scooby Doo um die Ecke geschossen und sabbern alle Besucher voll . Wir sind doch schon nass genug! Nach Besichtigung der Baustelle – das wird mal sicher ne tolle Location werden – stellen wir fest, dass der Anhänger für das Boot die Böschung in den Dschungel hinuntergerollt ist. Mit vereinten (schwindenden) Kräften schaffen wir es, ihn auf den Weg zu bekommen. Leider fährt sich der Van, an den wir den Anhänger hängen auch gleich im matschigen Boden fest. Mit Anschieben, Hölzer unter die Reifen legen und Ivans Pickup zur Unterstützung schaffen wir es jedoch. Wow. Genug Sport für heute.
Die Fahrt zurück kommt mir komischerweise recht kurz vor, obwohl wir weiter von Tena entfernt sein müssten: Wir kommen mit Adrian und Nick über unsere Jobs ins Gespräch und bekommen auch Antworten darauf, wie man in ihre Branche überhaupt hineinkommt.
Zurück an der Basis lassen wir uns in einige Liegestühle um ein erloschenes Lagerfeuer fallen und bekommen ein verdientes Bierchen zum Abschluss. Auch meine T-Shirt-Sammlung bekommt Zuwachs dank einem River-People-T-Shirt .
Heute Abend werden wir sicher gut schlafen – ich frage mich, ob wir den Tag morgen jedoch überleben: Wir haben eine Dschungeltrip geplant. Nur Ena und ich, geführt von einem Ranger. Das wird nochmal ein Kraftakt. Adrian und Nick haben ein ähnliches Unterfangen vor, jedoch an der einige Kilometer weiter entfernten Stadt Coca. Gummistiefel sind für den Trip morgen angesagt – es wird eine Mischung aus Querfeldein-Wandern, Canyoning und Abseiling werden.
Das Highlight wird das Campen in Zelten auf einem Hügel über den Wald sein. Ich bin schon recht gespannt drauf.
Wir werden zu unserem Hostel zurückfahren – die wohlverdiente Dusche wartet. Dann müssen wir uns beide für einige Minuten ins Bett legen – es geht gar nichts mehr.
Bevor wir nachts noch hinauskriechen um etwas Essbares zu finden, fragen wir Michele ob wir unsere Sachen für 1 Tag einlagern können und noch eine Übernachtung am Folgetag buchen können. Alles kein Problem – wir können unsere Sachen sogar im Zimmer lassen. Glücklicherweise sind wir zur Low Season hier, da klappt sowas .
Auf der Strasse vor dem Flughafen um die Ecke finden wir ein sehr simples Restaurant, welches trotzdem zu überzeugen weiss.